Das Staatstheater Darmstadt inszeniert Samuel Becketts „Warten auf Godot“.
Eine Vorweg-Anmerkung scheint aus gegebenem Anlass angebracht: die vier männlichen Rollen dieses Stückes wurden ausnahmslos von männlichen Darstellern gespielt. Das Theater kehrt zumindest in dieser Inszenierung zu den üblichen Besetzungsregeln zurück, wie immer man das beurteilen mag.
Becketts wohl berühmtestes und durchaus kontrovers interpretiertes Theaterstück – allein der Titel ist zu einer Ikone geronnen – hier noch einmal neu zu interpretieren, wäre sowohl anmaßend wie auch den Rahmen sprengend. Nur soviel sei gesagt, dass neben einem raunend-rätselhaften Mythos der „condition humana“ und einer handfesten politischen Deutung – Pozzo als Kapitalist, der sowohl Künstler als auch Intellektuelle (Lucky) an der Leine führt – alle Spielarten von Interpretationen angeboten worden sind und noch angeboten werden. Zu diesem Stück werden die Diskussionen wohl nie enden.
Regisseur Niklaus Helbling hat wohlweislich darauf verzichtet, eine neue Deutung dieses Stoffes aus dem Hut zu zaubern oder seine Inszenierung auf exaltierter Originalität aufzubauen. Er hält sich eng an Becketts Text und Regieanweisungen und fügt nur einige Andeutungen zur deutschen Geographie ein, so etwa den Rhein und den Breisgau. Wolfgang Flühs hatte da vor knapp zwanzig Jahren noch die (Darmstädter) „Heiner“ ins Spiel gebracht.
Das von Jürgen Höth verantwortete Bühnenbild zeigt ganz nach Becketts allererster Anweisung „[eine]Landstraße. Ein Baum. Abend“. Die Landstraße besteht aus nachlässig angeordneten und zufällig gemusterten Holzplatten, der vertrocknete Baum sieht aus wie ein Galgen und verweist damit bereits auf eine Textpassage des ersten Aktes, der Abend schlägt sich in dem grauen Wolkenhimmel auf der Bühnenrückwand und in der abgedimmten Beleuchtung nieder. Die beiden Hauptpersonen Wladimir (Götz van Ooyen) und Estragon (Christian Klischat) hat Mascha Mihoa Bischoff in realistische Landstreicherkostüme gesteckt, wobei Wladimirs Jackett sogar aus Packpapier und Klebeband besteht. Sieht fast elegant aus!
Klischat und van Ooyen verleihen den beiden verlorenen Protagonisten genau die Charakterzüge, die man von ihnen aufgrund der Lektüre erwartet: zwei Verlierer des Lebens, die sich jedoch dieser Tatsache nicht soweit bewusst sind, dass sie in Verzweiflung geraten. Das „Warten auf Godot“ verleiht ihnen so etwas wie eine wenn auch noch so unrealistische Hoffnung auf eine diffuse Zukunft, und so leben sie einfach von Tag zu Tag weiter. Selbst der Versuch, sich an dem Baum aufzuhängen, entspringt nur der Langeweile und ist keinen Augenblick tödlich ernst gemeint. Regisseur Helbling versucht nicht, ihnen existenzielle Verzweiflung oder gar revolutionären Widerstand einzuhauchen, sondern belässt sie gerade in dem Schwebezustand, der ein Weiterleben oder besser „Dahinvegetieren“ ermöglicht. Gerade dadurch, dass er sie nicht gegenüber dem Text überhöht und charakterlich schärft, wird er dem Beckettschen Stil gerecht. Aus der Leere dieser Figuren und ihrer sich unaufhörlich im Kreise drehenden Dialoge lässt sich keine Lehre ziehen, die man schwarz auf weiß nach Hause tragen kann. Sie bleibt hermetisch abgeschlossen.
Auch Pozzo (Hubert Schlemmer) und Lucky (Christian Bayer) lässt der Regisseur eng am Text agieren. Pozzo ist höchstens im allegorischen Sinn ein snobistischer Aristokrat ohne soziale Verantwortung oder gar Gefühle. Helbling hütet sich, ihn als Anklage gegen eine gegebene gesellschaftliche Situation herzurichten, und belässt ihm die Ungreifbarkeit seiner absurden Existenz. Pozzo ist selbst Getriebener einer Welt, die er nicht versteht. Und Lucky ist nie das Mitgefühl erregende Opfer eines grausamen Herren sondern selbst ein gestörtes, vom Leben zerstörtes Etwas. Helbling verbietet sich auch hier jegliche vordergründige Interpretation dieser Figur und überlässt es damit dem Zuschauer, sie zu deuten.
Bei aller absurden Sinnlosigkeit der Beziehungen zwischen den handelnden Personen kommt zeitweise so etwas wie Komik auf, jedoch nicht im Sinne eines Humors, der über den Dingen steht und der Katastrophe des Lebens lachend begegnet, sondern als Komik im doppelten Sinn des Wortes „komisch“, das auch „seltsam“ oder „unverständlich“ bedeuten kann. Das Lachen kündigt sich bei verschiedenen grotesken Szenen an, bleibt dann aber im Halse stecken, weil stets die erlösende Pointe ausbleibt.
Mit dieser nur scheinbar konventionellen Inszenierung ohne Übertreibungen und Zusätze bringen Regisseur Helbling und die Darsteller es fertig, zu Becketts Kern vorzustoßen und ihn, wenn auch nicht zu entschlüsseln – wer könnte das schon -, dann doch plastischer zu gestalten und die innere Mechanik des Stücks offenzulegen. Diese Inszenierung zeigt, dass sich das Konzept „weniger ist mehr“ noch lange nicht überlebt hat und man nicht zu betont unkonventionellen oder gar provokativen Inszenierungsmitteln greifen muss, um das Publikum auch mit einem bekannten Stück noch zu fesseln. Texttreue und intensive Innenschau erreichen oftmals oder gar meistens mehr als auftrumpfendes Regietheater. Diese Inszenierung besitzt zwar nicht das Potential zum Aufreger oder gar Skandal, sie vermittelt jedoch einen überzeugenden Einblick in eine kulturelle und geistesgeschichtliche Ausnahmesituation, wie sie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa herrschte. Dabei ist es hilfreich, die Hintergründe der Entstehung zu kennen. Dankenswerterweise verweist das Programmheft darauf, dass die Situation der französischen „Résistance“ gegen Ende des Krieges eine Rolle gespielt hat, als die Widerständler und vor allem die überlebenden Juden auf das Ende der deutschen Besatzung warteten. Becketts Stück spiegelt das bloße tagtägliche Durchhalten wider, ohne dass damit der Interpretationsspielraum schon erschöpft wäre.
Frank Raudszus
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