Heinrich von Kleists „Penthesilea“ im Frankfurter Schauspiel.
Von dem personellen Wechsel an der Spitze des Frankfurter Schauspiels hatten sich viele einen Aufbruch zu neuen Ufern und alten Stärken erhofft. So erwartete man im Rhein-Main-Dreieck gespannt die Premieren der neuen Saison. Immerhin hatte sich die Intendanz mit Heinrich von Kleists „Penthesilea“ viel vorgenommen. Das als schwer spielbar geltende Drama hat – unter anderem deshalb – schon Goethe in Weimar im Erscheinungsjahr 1808 abgelehnt.
Kleist hat in diesem Deklamations-Drama alte griechische Mythen, die Psychologie des Geschlechterkampfes und auch einiges an Gesellschaftskritik miteinander verwoben. Der weit gehende Verzicht auf eine bühnenreife Handlung zugunsten der Konzentration auf die Innenwelt der Protagonistin erschwert eine dramatische Darstellung, und die langen „Mauerschauen“ mit den Berichten über außerhalb sich abspielende Ereignisse sorgen für zusätzliche Längen. Trotz dieser erschwerenden Voraussetzungen könnte man diesem Stück durchaus allgemeingültige und sogar aktuelle Erkenntnisse entlocken, würde man es denn entsprechend inszenieren. Um es vorweg zu sagen: dieses Kunststück ist Regisseur Anselm Weber nicht gelungen, und das aus mehreren Gründen.
Worum geht es in der „Penthesilea“? Die Griechen belagern seit Jahren Troja, und als die gefürchteten Amazonen unter ihrer Anführerin Penthelisea vermeintlich zur Unterstützung der Trojaner auf dem Schlachtfeld erscheinen, jagen sie zum Erstaunen der Griechen die Trojaner vor sich her, um sich erst dann den Griechen zuzuwenden. Den Schlachtbeschreibungen entnimmt der Zuschauer, dass sich Penthesilea auf Achill gestürzt hat, jedoch von diesem besiegt worden ist. Doch statt ihr den Todesstoß zu geben, habe dieser sich um die Verletzte gekümmert, ehe er vor der Übermacht der Amazonen weichen musste.
Bei den Amazonen ist es Brauch, sich die Männer für die Erhaltung der Art in der Schlacht zu unterwerfen. Um jegliche Art der emotionellen Bindung einschließlich der zwangsläufigen Eifersuchtsfolgen zu verhindern, verbietet das Gesetz, sich einen Mann auszuwählen, und gebietet, dabei ausschließlich dem Gesetz des Zufalls zu gehorchen.
Dieses Gesetz bricht Penthesilea mit ihrer gezielten Jagd auf Achill. Es ist jedoch keine Liebe im bürgerlichen Sinne, die sie treibt, sondern Besitzanspruch. Als Königin nimmt sie sich das Recht heraus, den strahlendsten Held der Gegner zwecks Begattung beim rituellen „Rosenfest“ für sich zu reservieren, bleibt aber im Rahmen des Ritus, wenn sie ihn besiegen will. Die Niederlage trifft sie daher zutiefst, noch schwerer jedoch die Tatsache, dass der Sieger sie am Leben lässt. Damit nimmt er sie als Gegnerin nicht mehr ernst. Rachegefühle ergänzen und überlagern jetzt ihr Besitzstreben. Gegen den Rat ihrer Mitkämpferinnen und vor allem der Oberpriesterin, die sofort den Gesetzesbruch erkannt hat, stürzt sie sich wieder in die Schlacht, um Achill doch noch zu unterwerfen. Dieser hat sich inzwischen unsterblich in Penthesilea verliebt und beschließt, als er von dem Unterwerfungs-Ritus des Rosenfestes hört, sich unbewaffnet zum Zweikampf zu stellen, um von der Geliebten unterworfen und dann geliebt zu werden. Penthesilea jedoch nutzt seine Schwäche aus, tötet ihn und schlägt eigenhändig ihre Zähne in die Brust des sterbenden Achill. Der psychologische Hintergrund ist unschwer darin zu erkennen, dass sie sich ein zweites Mal gedemütigt sieht, als Achill unbewaffnet vor sie hintritt. Seine Beweggründe vermag sie nicht zu erkennen, Liebe als solche ist in ihrem Weltbild nicht enthalten. Mit seiner Kampfverweigerung entwertet er ihren Sieg, disqualifiziert sich damit auf einer höheren Ebene als Fortpflanzungspartner und hat den Tod verdient. Die Schmach kann Penthesilea nur dadurch tilgen, in dem sie ihren „Schänder“ buchstäblich vertilgt.
Wie geht Regisseur Weber nun mit diesem Stoff um? Zu Beginn lässt er die drei Griechen Odysseus, Diomedes und Antilochus die Ankunft der Amazonen und den Kampf zwischen Achill und Penthelisea deklamieren. Das dauert seine Zeit, da komplexe Sachverhalte darzustellen sind, und lässt sich ohne größere Eingriffe in den Urtext nicht verdichten. Allerdings trägt Markus Boysen als Odysseus den Text so schnell vor, dass selbst die klassische Deklamation gewöhnte Zuschauer Mühe haben, der Erzählung zu folgen. Und wie zu erwarten, lässt sich über diese wortreiche Retrospektive kaum Spannung aufbauen, so sehr sich vor allem Markus Boysen auch bemüht, durch Gestik und Mimik dem Text Leben einzuhauchen. Die ermüdende Wirkung des deklamierenden Berichts ist jedoch nicht auf die Anfangsszene beschränkt sondern zieht sich durch das ganze Stück. Jedes neue Ereignis wird durch einen Boten verkündet, der leider zu oft seinen Bericht in stehender Haltung abliefert, ohne das Geschehen durch situationsgerechte Körpersprache aufzulockern. Diese statuarische Interpretation scheint bewusst gewählt zu sein, um eine gewisse Distanz zum Geschehen zu wahren und es nicht in die Nähe eines besseren Ritterdramas abgleiten zu lassen. Diese Distanz wird jedoch erkauft durch die unvermeidliche Steifheit und Langatmigkeit.
Ein bezeichnendes Beispiel für diese innere Distanz: wenn in einem Stück ein Bote auf die Bühne kommt und dem Regenten berichtet, dass sich das Schlachtenglück plötzlich gewendet habe und der Feind auf das Hauptquartier vorrücke, so bringt er diese Mitteilung üblicherweise aufgeregt, ja bestürzt vor oder fällt dem König gar erschöpft, verdreckt und blutend vor die Füße. Nicht so bei Anselm Weber. Hier tritt die Botin an die erhöhte Rampe und eröffnet der Königin diese Hiobsbotschaft in einem Ton, als wolle sie den gedeckten Mittagstisch ankündigen.
Der größte Schwachpunkt von Webers Inszenierung liegt jedoch in der Hauptperson der Penthesilea. Wenn die Amazonen wilde, von allen männlichen Kämpfern gefürchtete Kriegerinnen sind, die sich ihre Zeugungspartner im Schlachtgetümmel rauben, dann drängt sich für ihre Anführerin geradezu zwangsläufig der Eindruck einer gnadenlosen und durchsetzungsstarken Führergestalt auf. Dieses Bild unterstützt auch der gesprochene Text der Penthesilea, der vor Unbeugsamkeit und Kon- sequenz geradezu strotzt. Ihr ganzes Denken ist auf die Unterwerfung des hass-geliebten Achills gerichtet, und warnende Gefolgsfrauen werden buchstäblich „abgebürstet“.
Diesem in sich so logischen und konsequenten Bild der Protagonistin widerspricht jedoch diametral die Darstellung durch Karin Pfammatter. Das beginnt schon mit der Statur: so eine Krieger-Königin sollte körperlich einigermaßen für den Kampf mit Männern ausgestattet sein, mit Karin Pfammater präsentiert Weber jedoch eher den Typ Kind-Frau. Und dieses Image bestätigt sie noch durch ihre Interpretation. Angesichts der kräftigen Kriegerinnen Prothoe, Meroe und Asteria (Susanne Buchenberger, Katharina Lindner, Lena Streiff) und der resoluten Oberpriesterin (Babett Arens) erscheint es mehr als unwahrscheinlich, das sich diese Frau länger als einen Tag als ihre Anführerin halten kann. Ihr geradezu naiver Ton kontrastiert scharf mit dem Inhalt und wirkt daher hochgradig unglaubwürdig. Offensichtlich bezweckt Weber mit Statur und Ausdruck seiner Protagonistin eine bestimmte Wirkung, erhofft sich vielleicht eine produktive Irritation durch die Diskrepanz, erreicht jedoch nur Unstimmigkeit der Aufführung und der Rezeption des Publikums. Die Schärfe von Kleists Anliegen, der kompromisslose Besitzanspruch und die konsequente Unterwerfung bis zur buchstäblichen Vertilgung des Gegenübers gehen im bloß Verbalen verloren. Am Ende steht ein nacktes, blutüberströmtes und verwirrtes Kind verloren da, das sich selbst zum Tode verdammt. Das Licht erlischt und „alle Fragen bleiben offen“.
Peter Moltzen gibt einen jugendlich-naiven Achill, der zwischen Eitelkeit, Verliebtheit und unbekümmerter Selbstüberschätzung changiert. In gewisser Weise führt er den Ansatz von Regisseur Weber fort, indem auch er nicht als unbesiegbarer „Held“, sondern eher wie ein unfertiger Jüngling erscheint. Insofern sind beide Gestalten kongruent, können jedoch dem Kleistschen Stück keine neue Deutung geben.
Das Publikum honorierte die Aufführung mit freundlichem Beifall, ohne einzelne Darsteller besonders zu hervorzuheben. Offensichtlich konnten die meisten Besucher im gut besuchten Schauspielhaus mit dieser Inszenierung nicht viel anfangen.
Frank Raudszus
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