Emmerich Kálmáns Operette „Gräfin Mariza“ im Staatstheater Darmstadt.
Die Operette als kleine, leichtere Schwester der Oper hat wahrlich keinen guten Stand, vor allem bei der seriösen Musikwelt. Nicht dass man grundsätzlich gegen das Leichte wäre, aber diese Kunstgattung ist leider mit der Kaiserzeit gestorben. Einzelne Nachzügler wie „Glückliche Reise“ folgten zwar noch, aber die Hochzeit der Operette verging mit dem Ersten Weltkrieg. Zu sehr waren ihre Sujets auf die feudale Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit ihren Ingredienzen Bälle, Champagner und Liebe als Zeitvertreib fixiert, als dass sie die radikal veränderte Welt nach 1918 hätte abbilden können. Darstellung der realen Gesellschaft und ihrer Probleme war ihre Sache nicht, Identifikationsmuster für das Publikum und Bedienung von Sehnsüchten standen im Mittelpunkt. Das mittlerweile ebenfalls in die Jahre gekommen Musical hat die Funktion der Operette übernommen, spiegelt es doch weitaus breiter gefächerte Themenkreise und geht auch auf soziale Probleme ein. Dennoch zeigt sich an dem Niedergang beider Kunstgattungen, dass sich das Triviale in seiner institutionalisierten Form selten für längere Zeit etablieren kann und durch neue Trivialformen ersetzt wird, frei nach dem Motto: „Der König ist tot, es lebe der König“.
Die klassische Operette erweckt jedoch mit ihrem einfachen Weltbild und ihrer speziellen Art von Musik bei den Zuhörern mit nahezu suggestiver Wirkung Assoziationen an frühere, vermeintlich bessere Zeiten. Da geht es immer um Barone, Grafen und Fürsten, hin und wieder ist mal einer verarmt, aber nur kurzfristig, die Menschen sind schön, gut und reich und die Domestiken herzig und sich ihres Platzes in der Gesellschaft bewusst. Dabei kennt die Operette keinen Humor im eigentlichen Sinne, der nämlich zwangsläufig mit (Selbst-)Ironie gepaart ist. Die Operette und ihre Protagonisten nehmen sich bei aller Leichtigkeit bitter ernst, und der Schwank und Witz auf der Bühne ist ein dramaturgisch verordneter, der grundsätzlich eher von subalternen oder nicht ganz ernst zu nehmenden Figuren geliefert wird. Die Hauptpersonen jedoch ermöglichen erst mit ihrem tiefen Ernst die Identifikation des Publikums mit ihnen.
Soweit zum Grundsätzlichen, das anzusprechen sich angesichts des Reizwortes „Operette“ geradezu anbietet. In Darmstadt hat Intendant John Dew höchstpersönlich die Verantwortung für die Inszenierung von Emmerich Kálmáns „Gräfin Mariza“ übernommen. Auf der musikalischen Seite assistiert ihm GMD Stefan Blunier. Dew hat sich die einzig richtige Interpretation des Librettos entschieden: Tempo und Leichtigkeit, Verzicht auf jedwede gesellschaftliche Problematisierung. Woraus besteht dieses Libretto? Nun ja, Operette halt: Herz – Schmerz – Happy End – Irrungen – Wirrungen – Wohlgefallen. Die reiche, schöne Gräfin Mariza wird von geldgierigen Freiern bedrängt, der unschuldig verarmte Graf Tassilo arbeitet inkognito als Verwalter auf ihrem Anwesen, wo er zufällig auf seine eigene Schwester Lisa trifft. Gräfin und verkappter Graf kommen sich näher, doch als Mariza ein angebliches Techtelmechtel Tassilos mit Lisa hinterbracht wird, feuert sie ihn unter demütigenden Umständen. Auch die Aufklärung des geschwisterlichen Verhältnisses kann den gekränkten Stolz der beiden Protagonisten nicht aufweichen. Da muss als „dea ex machina“ erst Tassilos Tante Bozena Cuddenstein zu Chlumetz mit ihrem skurrilen Kammerdiener auftauchen, die mit ihrem Vermögen Tassilos heimatliches Gut wieder entschuldet hat. Nun steht einer Hochzeit nichts mehr im Wege, und auch Lisa bekommt ihren Baron ab.
Zu diesem Libretto erübrigt sich jeder weitere Kommentar, die Inszenierung jedoch macht das Beste daraus. Gleich zu Beginn zeigt John Dew deutlich, wie die Männer der schönen Mariza zu Füßen liegen, wenn der männliche Part des Chors im Frack um die Gräfin herum auf dem Boden liegt und die weiß behandschuhten Hände anbetend schwenkt. Überhaupt spielt der Chor eine wesentliche Rolle, muss er doch immer wieder die „Hofgesellschaft“ darstellen. Das bringt viel Leben auf die Bühne, und immer wieder spielt auch der Tanz eine Rolle. Dazu ist zu sagen, dass die Operette erst 1924 ihre Uraufführung erlebte. Kálmán hat aufgrund dessen viele musikalische Elemente der Zwanziger Jahre übernommen. Zeitweise klingt die Musik aus dem Graben wie früher Swing oder Charleston. John Dew lässt die Darsteller dazu entsprechend steppen und tanzen, als wäre Fred Astaire persönlich zu Gast. Dabei beutet er genüsslich die alte Doppelrolle des geschickten Tänzers und seines tölpelhaften Begleiters aus, so wenn Fürst Populescú und Baron Zsupán ihre mal tänzerischen, mal eher sportlichen Einlagen zeigen. Die Gags entstehen dabei fließend aus der Handlung und werden glücklicherweise nicht wiedergekäut. Das ungarische Kolorit kommt durch eine entsprechend „balkaneske“ Sprache zum Ausdruck oder zumindest, was man so dafür hält. Natürlich gilt dieser immer wieder Heiterkeit auslösende Sprachwitz nur für die Chargen, nicht für die Protagonisten (s. oben). Fragt sich nur, warum Fürst Populescú – übrigens ein typisch rumänischer Name – mehr oder minder echtes Sächsisch spricht. Sollte John Dew da dem in Deutschland bereits platt gewalzten Witz mit dem Dresdner Idiom aufgesessen sein? Jedenfalls erntete dieser Witz nur Lacher von Kalauer-Format. Dagegen hat man den Kammerdiener der aus der dramaturgischen Götterwerkstatt aufgetauchten Tante Cuddenstein mit viel Slapstick-Witz ausgestattet. Nicht nur, dass er für seine Brotgeberin die Äußerung der jeweils angesagten Emotion übernehmen muss, nein, er würzt auch jede Situation mit einem literarischen Sprichwort einschließlich Quellenbezeichnung, da er jahrelang als Souffleur im Theater gearbeitet hat. Da kam natürlich für Darmstädter der Spruch „Bezahle, wenn man Geld hat, des ist kein Problem, aber….“ gerade recht („Datterich“).
Das Bühnenbild besteht aus einem Halbrund von breiten Säulen, die oben einen breiten Fries mit – Ironie pur – großen Schweinen trägt. Zwei Couchen ergänzen das Mobiliar und geben den Darstellern vielfältige Möglichkeiten für diverse Slapstick oder Tanzeinlagen, die sie auch weidlich nutzen, so Mariza und Tassilo mit einem halben Strip oder Populescú und Zsupán mit einer unfreiwilligen gleichgeschlechtlichen Romanze.
Musikalisch gab´s natürlich eine Reihe bekannter Ohrwürmer zu hören, die man, wenn nicht vom Theater, dann vom Radio her kennt. Dabei muss man im ersten Augenblick immer erst den Vorbehalt gegenüber diesen „Dauerbrennern“ abschütteln, ehe man sie einfach nur genießen kann. Und gerade sie rufen diese bereits erwähnten Assoziationen an die „gute, alte Zeit“ hervor. Aber sei´s drum. Operette ist Operette, und man sollte nicht mehr dahinter suchen, als dort zu finden ist. Schmissig und mit viel Leichtigkeit gebracht, bietet sie auch heute noch gute Unterhaltung. Dazu trägt bei dieser Inszenierung auch das Orchester unter der Leitung von Stefan Blunier bei, das mit viel Verve und Frische aufspielt. Hier sind nicht die leisen Töne und die subtilen Zwischentöne gefragt, sondern Temperament und „ungarrisches Blut“. Blunier gelingt es sogar, diese Musik mit einer gewisse Ironie zu präsentieren, ohne sie deshalb zu karikieren. Es scheint, als wolle er sagen: „Nehmt das Ganze nicht so ernst, amüsiert Euch“. Und diesem Motto folgen auch die Darsteller, von denen vor allem Nicola Beller Carbone Mariza sowohl stimmlich als auch schauspielerisch brilliert. Sie ist jederzeit präsent und kann sich sogar gegen den voll tönenden Chor mit Leichtigkeit durchsetzen. Wolfgang Schwaninger ist ihr mit seiner kräftigen und unangestrengt wirkenden Stimme ein ebenbürtiger Partner, wenn er schauspielerisch auch eher den ruhigen weil von Sorgen geplagten Part zu spielen hat. Jeffrey Treganza (Baron Zsupán) und Andreas Daum (sächselnder Populescú) geben ihr Duo zweier chancenloser aber eitler Freier mit viel Witz und Slapstick-Einlagen, Stephanie Maria Ott spielte die Lisa bis auf die letzte Szene eher etwas zurückhaltend, ist aber stimmlich ebenfalls auf der Höhe. Als Wahr- und Ansagerin Manja schwebt Elisabeth Hornung wie ein Zirkusdirekot im weißen Anzug und Zylinder über die Bühne. Ulrike Leithner gibt eine herrlich skurrile Tante Cuddenstein, und Stefan Umhey kann sich als ihr Kammerdiener Penizek verbal und körperlich austoben.
Das Premierenpublikum war restlos begeistert und belohnte das Ensemble einschließlich Regie – was in Darmstadt nicht oft vorkommt – mit nicht enden wollendem Beifall. Honi soit qui mal y pense!
Frank Raudszus
Alle Fotos © Barbara Aumüller
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