„A Capella“-Chören geht oft der Ruf anspruchsvoller und damit nicht unbedingt unterhaltsamer Gesangskunst voraus. Das mag in vielen Fällen sogar zutreffen, weil sich hoher Anspruch leider nur selten mit einem Sinn für Humor paart. Bei der britischen Gruppe „The King´s Singers“ trifft dieses Vorurteil jedoch in keiner Hinsicht zu. Die sechs jungen Männer – zwei Countertenöre, ein Tenor, zwei Baritone und ein Bass – waren an diesem Abend im Staatstheater Darmstadt der lebende Beweis für echten britischen Humor, der einerseits mit „Understatement“, andererseits mit einem Hauch von Monty Python daherkam.
Die „King´s Singers“ befinden sich derzeit auf einer Jubiläumstour, denn die Gruppe feiert ihr 50jähriges Bestehen. Dass in dieser Zeit mindestens eine personelle „Runderneuerung“ stattgefunden haben muss, sieht man daran, dass die sechs Sänger in einem – geschätzten! – Alter zwischen 25 und 35 Jahren bewegen. Was weiterhin auffällt, ist die Tatsache, dass sie bereits beim Erscheinen auf der Bühne nicht den Eindruck weltfremder oder schüchterner Gesangskünstler machen, sondern eher wie eine Gruppe junger Surfer oder Trendsportler wirken, die sich gerne unters Volk mischen. Die Damen im Publikum werden sicher auch mehr als wohlwollend das Aussehen der jungen Herren registriert haben.
Der Beginn des Abends stand jedoch ganz im Zeichen des oben erwähnten Vorurteils. Bei abgedunkeltem Saal sang die Gruppe „The Prayer of King Henry VI“ von Henry Ley (1887-1962), das trotz seiner Entstehung im 20. Jahrhundert stark an Renaissance-Madrigale erinnert. Die sechs Sänger interpretierten es mit würdigem Ernst und erinnerten dabei ein wenig an mittelalterliche Kirchengesänge. Es folgte „We are more alike“ von Bob Chilcott (*1955), das in seiner Anlage mit wechselnden Vortragsrollen an Gospels des 19. oder frühen 20. Jahrhunderts erinnert.
Nach diesen beiden Stücken zeigten die sechs Musiker, dass die nicht nur über hervorragende Stimmen und Gesangstechnik verfügen, sondern sich auch als Entertainer verdingen können. Jedes Lied wurde von einem anderen Sänger in druckreifem Deutsch angekündigt, wobei diese Ankündigung stets sowohl aufschlussreiche Informationen als auch humoristische Elemente enthielt. Dabei fiel besonders Jonathan Howard (Bass) auf, der seinen etwas längeren Vortrag völlig frei in druckreifem und akzentfreiem Deutsch hielt, was den Vermutung nährte, er sei zweisprachig aufgewachsen.
Das spanische Liebeslied „Lagrimas de mi Consuelo“ von Juan Vasquez (um 1500) beeindruckte durch die Innigkeit und das besonders schöne Ende, während „Dessus le Marché d´Arras“ von Orlando di Lasso (1532-1594) die Geschichte eines Soldaten und eines Mädchen erzählt, die sich auf einem Markt handelseinig werden. Dieser Inhalt war für dien trockenen britischen Humor natürlich eine Steilvorlage, und das Lied strotzte denn auch vor frivolem Temperament.
Das Auftragswerk „The Master of Music“ nach einem Gedicht von Henry van Dyke geht der Frage nach, was aus der Musik nach ihrem Verklingen wird, und besticht vor allem durch die raffinierten Reibungen der Stimmen. Dagegen verströmte „Quand tu dors près de moi“ von Georges Auric aus dem Film „Aimez-vous Brahms?“ die Melancholie der 60er Jahre, die auf unvergleichliche Weise das französische Kino der Epoche prägte. Gabriel Faurés „Le papillon et la fleur“ dagegen behandelt auf witzige Weise die Liebe zwischen einem Schmetterling und einer Blume.
Ernst wurde es dann mit dem südafrikanischen „Horizons“ von Peter Louis van Dijk (*1953), das die jubelnde Begrüßung fremder Schiffe als Gesandte Gottes an der Küste der Eingeborenen von Südafrika und die anschließende Vernichtung des Volkes durch die gar nicht so göttlichen Besucher besingt. Dabei schnippten die Sänger mit den Fingern, wohl, um die Klicklaute der Sprache dieser Ureinwohner nachzubilden.
Auch ein „Renner“ darf natürlich nie fehlen, in diesem Falle war es das schwermütige „Shenandoah“, und das anschließende Auftragswerk „Lamorna“ zielte humoristisch auf die menschlich-männlichen Schwächen und die List der Frauen.
Ein musikalisches Feuerwerk präsentierte die Komposition „Quintessentially“ von Joanna Forbes und Alexander L´Estrange, das sich die „King´s Singers“ anlässlich ihres Jubiläums auf den Leib bzw. die Stimmen schrieben ließen, denn es bringt eine Vielzahl musikalischer Zitate von der Oper über Jazz bis hin zum berühmten „Danny Boy“, natürlich mit Texten über die „King´s Singers“ und die Musik. Manche Zitate waren überdeutlich, andere nur weinige Takte lang. Hier konnte man durchaus ein Ratespiel beginnen.
Nach der Pause kam dann die leichte Muse mehr zu ihrem Recht. Nach „Poor Roger“ mit schwer zu singenden, weil versetzten Rhythmen und der Imitation verschiedener Instrumente kam erst noch ein schwieriges Stück von Nico Muhly (*1981), bevor ein Reigen bekannter Themen und Stücke begann, die jedoch nicht im Original sondern als mehr oder weniger kurze Zitate mit neuen Texten erschienen. Hier hörte man u. a. Das berühmte „You´re driving me crazy“, und beim Publikum setzte wieder das Ratespiel nach den Zitaten ein, wie man aus spontanen Lachern schließen konnte.
Das Ganze wurde nicht nur von den sechs Sängern auf perfekte Art gesanglich präsentiert, sondern auch nach bester Entertainer-Manier angekündigt, kommentiert und abmoderiert. Viele spontane Lacher galten den humoristischen Einlagen der Sänger, bei denen sich besonders Jonathan Howard hervortat.
Der begeisterte Beifall wäre wahrscheinlich für die Zugabe gar nicht nötig gewesen, denn die sechs Musiker waren so begeistert bei der Sache, dass sie die Zugaben eher aus Lust am Singen denn als Dienst am Publikum anboten. Und hier kam dann auch George Gershwin mit „Porgy and Bess“ zus seinem Recht.
Rundherum ein mehr als gelungener Abend, ein humoristisches und gesangliches Fest der Musik, wie man es selten erlebt und das man nicht verpasst haben möchte.
Frank Raudszus
No comments yet.