Shakespeares Zeit war eine „Büchse der Pandora“ menschlicher Schwächen und Leidenschaften auf den Brettern des Theaters. Nie vorher wurden Machtgier, Mordlust und Missgunst vor allem der Mächtigen auf eine solch direkte und schonungslose Weise dargestellt und angeprangert. John Webster war einer der Autoren, die mit der menschlichen Gesellschaft auf diese Weise abrechneten. Den ungehobelten, oftmals mehr als derben Ton kann man durchaus als hilflosen Ausdruck der äußersten Wut über die Verhältnisse deuten. In seinem Theaterstück „Die Herzogin von Malfi“, das die Regisseurin Katrin Plöter nach einer selbst erstellten, stark verdichteten Fassung in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt inszeniert hat, hat er seine desillusionierte Sicht des menschlichen Charakters mehr als deutlich zum Ausdruck gebracht.
Die verwitwete Herzogin von Malfi darf auf Anweisung ihres Bruders Ferdinand nicht mehr heiraten, um seinen Machtbereich nicht zu vermindern. Sie jedoch missachtet diesen brüderlichen Befehl, heiratet den Haushofmeister Antonio und bekommt mit ihm sogar zwei Kinder. Ferdinand beauftragt daraufhin den entlassenen Sträfling Bosola erst als Spitzel und Überbringer von Warnungen und Drohungen und schließlich als Auftragsmörder. Diesen lockt er mit raschem gesellschaftlichen Aufstieg nach vollbrachter Tat.
Die Handlung verläuft geradezu zwangsläufig ohne den Hauch eines Kompromisses oder moralischer Zweifel. Ferdinand stellt von Anfang an unmissverständlich klar, dass er erneute Hochzeit und Mutterschaft seiner Schwester nicht dulden wird, und diese weiß genau um die Unerbittlichkeit ihres Bruders. Doch wie zum Trotz und der Todesgefahr nicht achtend lässt sie sich mit Antonio ein, wobei sie sogar als treibende Kraft auftritt. Sie fordert das Schicksal geradezu heraus, jedoch nicht im Sinne eines modernen emanzipatorischen Widerstands, sondern in einem Akt einer selbstzentrierten Leidenschaft, die der Egomanie ihres Bruders in nichts nachsteht.
Dieses Schauspiel fügt sich nahtlos in die Shakespeare-Epoche ein, die in ihren Theaterstücken die Abgründe menschlicher Leidenschaften bis in die tiefsten Tiefen ausleuchtete. Auch in Websters Stück sterben alle, einschließlich der gemeuchelten kleinen Söhne der Herzogin. Am Schluss sterben auch die Mörder, die sich in einem Anfall von Reue und Rache gegenseitig umbringen. Karin Plöter hat in ihrem Stück nicht nur das Personal auf fünf Figuren verdichtet, sondern auch das tödliche Ende in eine eher symbolische Geste umgewandelt. Nach dem grausamen Tod der beiden Frauen – der Herzogin und ihrer Zofe Cariola – durch Bosola und Ferdinands Schergen erfährt die Herzogin sozusagen im Jenseits, dass sich Ihr Bruder und Antonio auf ihre und ihrer Kinder Kosten geeinigt haben, aufersteht von den Toten und mäht Bosola, Antonio und Ferdinand mit einer imaginären Maschinenpistole nieder. Sozusagen eine posthume Rache.
Die personelle und dramaturgische Verdichtung bekommt dem Stück ausgesprochen gut, da dabei die wesentliche Aussage in kompakter Form zum Ausdruck kommt. Die Welt ist gottlos, ohne Moral und ohne Gerechtigkeit. Nicht nur die Unschuldigen und Schwachen – Frauen und Kinder – werden sinnlose Opfer der Machtgier, sondern auch der dienstbare Geist, der seinen Aufstieg durch Auftragsmord zu erreichen versucht, erhält als zynischen Lohn lediglich die Straffreiheit seitens des Auftraggebers. Eine derart durchgängige Verdorbenheit lässt sich nicht mehr mit den Bordmitteln des allzu Irdischen aufheben, sondern nur aus der Irrealität des Jenseits. Die Vernichtung des Bösen stellt sich in Katrin Plöters Inszenierung als reine Rachephantasie dar. In diesem Sinne wird sie einerseits der Handlung des Stückes – allgemeiner Tod am Ende – gerecht, andererseits vermeidet sie die fragwürdige Botschaft vieler Theaterstücke, am Ende erhielten die Übeltäter auch im Hier und Jetzt stets ihre gerechte Strafe.
Der Inszenierung wandelt mit sicherem Schritt auf dem schmalen Grat zwischen den Abgründen einer latent biederen Historisierung und einer oftmals platten Aktualisierung. Daniel Wollenzin hat die Bühne reduziert auf einen erhöhten, offenen Kubus, der sowohl als Lotterbett wie auch als Gefängnis der Herzogin dient. Die Kostüme von Johanna Hlawica tragen nur ansatzweise historische Züge. Karin Klein trägt als Herzogin ein fast schon grotesk zu nennendes Kostüm, das man durchaus als die Karikatur einer Herzogin-Robe bezeichnen kann. Ihre Zofe Cariola kommt ihm kurzen Schulmädchenkleid und Kniestrümpfen ebenfalls als Archetypus des ohnmächtigen Mädchens daher. Dagegen tragen die Männer zeitlose Kostüme, die sie eher als nachlässig gekleidete Mitglieder eines Junggesellenabschieds denn als Mächtige und Ohnmächtige ausweisen.
Für die gesellschaftliche Einordnung der männlichen Figuren sind – neben den Texten – die Darsteller verantwortlich. Matthias Znidarec gibt den Bosola als einen Verzweifelten, der die letzte Chance zur gesellschaftlichen Rehabilitierung moralfrei nutzt, dabei jedoch versucht, seinen Stolz gegenüber dem Auftraggeber soweit möglich zu bewahren. Auf der anderen Seite fällt ihm die brutale Grausamkeit gegenüber den beiden Frauen sichtlich schwer. Er erinnert in der Mordszene ein wenig an die SS-Leute in den Vernichtungslagern, die ihre Arbeit als menschlich schwer aber notwendig betrachteten. Dagegen ist Daniel Scholz als Ferdinand die Inkarnation des Bösen, der seine Leidenschaften ausleben kann, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen. Seine de facto unbeschränkte Macht lässt ihn jegliche moralische Grenze mit Leichtigkeit überschreiten. Man hat bei ihm das Gefühl, dass er buchstäblich Widerstand und Protest herbeisehnt, um daran seine Macht umso eindeutiger beweisen zu können. Hier passt die Redewendung, dass Macht erotisch mache, in einer ganz anderen Weise als ursprünglich intendiert. Robert Lang gibt den Antonio dagegen als unentschiedenen Charakter, der sich nicht für eine Seite entscheiden kann, weil er einerseits nicht über die Macht Ferdinands, andererseits nicht über die Absolutheit der – ebenfalls an die Macht gewöhnten – Herzogin verfügt. Er verkörpert den grundsätzlichen, aus den gesellschaftlichen Verhältnissen gewachsenen Opportunismus, im Gegensatz zu Bosolas verzweifelter Variante.
Karin Klein beherrscht als willensstarke Herzogin über lange Strecken die Bühne. Doch auch sie spielt in gewisser Weise die Rolle der Herzogin und geht nicht in ihr auf. Das stilisierte Spiel ergibt sich fast zwangsläufig aus den elisabethanischen Versen, die in dieser Fassung in einer historisch kompatiblen Übersetzung erklingen. Man kann auf der Bühne solche Verse nur mit einer gewissen darstellerischen Distanz aufsagen, will man nicht in den Abgrund zwischen Hochkultur-Texten und heutiger Alltagsgestik fallen. Alle Darsteller wandeln auf dem schmalen Grat zwischen steifer Deklamation und schroffer Dissonanz zwischen Text und Spiel, sie bewältigen diese Schwierigkeit jedoch mit dem gebotenen Maß an Distanz bei unverminderter Intensität und Dichte. Ein wenig erinnerte diese Inszenierung an Camus´ „Caligula„, das ebenfalls in den Kammerspielen läuft.
Das Publikum war von diesem so düsteren wie kompromisslosen Inszenierung beeindruckt und spendete kräftigen Beifall.
Frank Raudszus
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