Die Geschichte der „Comedian Harmonists“ im Staatstheater Darmstadt
Vor einigen Jahren lief im Kino das Film über die „Comedian Harmonists“, einer Gruppe von Berliner Musikern, die im Berlin der zwanziger und dreißiger Jahre von Triumph zu Triumph eilten und erst durch den Rassenwahn der Nationalsozialisten gestoppt wurden. Der Erfolg dieses Films hat gezeigt, dass die von dieser Gruppe gepflegte Musik über den Rahmen einer allgemeinen Nostalgie hinaus auch heute noch auf viele Freunde zählen kann. Das ist nicht zuletzt auf die subtile Schlichtheit, den Witz und den musikalischen Einfallsreichtum der Lieder zurückzuführen, mit denen die Gruppe ihren weltweiten Ruhm erwarb. Ausgehend von einer Bühnenadaption, die in Heidelberg sehr erfolgreich gelaufen war, hat das Staatstheater Darmstadt mit eigenen Kräften aus dem „Opernfundus“ sozusagen eine Darmstädter Version dieser Inszenierung gemacht. Dabei hat man den Conferencier der Heidelberger Vorlage einfachkeitshalber übernommen.
Das Libretto – wenn man es denn so nennen darf – erzählt chronologisch Aufstieg, Erfolg und Abstieg der Gruppe und gibt überdies zum Schluss noch eine Übersicht über die weiteren, teilweise tragischen Lebenswege der einzelnen Gruppenmitglieder.
Im Jahr 1927 beschäftigt sich der zeitweise nicht engagierte Schauspieler Harry Frommermann mit seinem Lieblingshobby, dem Schreiben von musikalischen Arrangements für Vokalgruppen. Sein Vorbild ist die amerikanische Gruppe „Revelers“, die er und seine zukünftigen Mitsänger zu diesem Zeitpunkt jedoch noch für unerreichbar halten. Auf seine Zeitungsanzeige melden sich einige arbeitslose Sänger – es ist schließlich 1927 – und in Ermangelung besserer Angebote beginnt man mühsam und mit einigen künstlerischen Problemen, Harrys Arrangements einzustudieren. Nachdem ein erstes Vorsingen bei einem Veranstalter in einer ernüchternden Absage endet, verkürzt und belebt der neue Pianist Erwin Bootz die Arrangements, so dass der zweite Anlauf bei dem gewieften Veranstalter Charell zum Erfolg führt. Von anfangs kleineren Engagements mit Minutenauftritten und zwei oder drei Liedern steigern sie sich stetig, bis sie zum ersten Mal ein ganzes Konzert in einer großen Leipziger Halle bestreiten können. Von diesem Moment an sind sie erst landesweit und bald auch international bekannt und eilen mit wachsendem finanziellen Erfolg von Großstadt zu Großstadt. Doch die Machtübernahme durch die Nazis macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. In erster Linie die drei jüdischen Mitglieder der Gruppe, aber auch das leichte, freche und oft auch frivole Liedgut wecken den Argwohn der prüde-spießigen Machthaber und führen 1935 konsequenterweise zum Verbot der Gruppe. Eine Zeitlang feiern sie noch im Ausland gemeinsame Erfolge, dann zwingt das Heimweh die „Arier“ unter ihnen zurück nach Berlin, während die anderen im Ausland bleiben. Es bilden sich neue Gruppen mit ähnlichen Namen, die jedoch nicht mehr an die frühere Erfolgsphase der ehemaligen „Comedian Harmonists“ anknüpfen können. So bleiben diese für immer mit als Symbol der „goldenen zwanziger Jahre“ nostalgisch an diese Zeit gebunden.
In Darmstadt muss sich die halbe männliche Opernmannschaft um diese Rollen „geprügelt“ haben, soviel Spaß zeigen die Darsteller bei dieser Aufführung. Andreas Daum mit seiner nicht nur stimmlichen Größe dominiert über lange Strecken die Bühne, doch die Tenöre, allen voran Oleksandr Prytolyuk, gleichen die körperliche Überlegenheit des Basses durch stimmliche Präsenz und viel Witz aus. Jeder der fünf Sänger – neben den beiden bereits erwähnten noch Andreas Wagner, Markus Durst und Jeffrey Treganza – spielt seine Rolle überzeugend und glaubwürdig. Zwar verlangen diese Rollen durchweg keine überragenden schauspielerischen Fähigkeiten, da sich die Handlung weitgehend auf die Geschichte der Gruppe und weniger auf die Befindlichkeiten ihrer Mitglieder bezieht, doch auch in diesem Kontext wollen die einzelnen Charaktere wohl differenziert werden, um den Eindruck eines gesichtslosen Musikkollektivs zu vermeiden. Und das gelingt allen Darstellern einschließlich des von Tobias Engeli „live“ gespielten Pianisten.
Natürlich geht es in dieser Inszenierung in erster Linie um die Musik der „Comedian Harmonists“, und die kommt zu Genüge aus den Mündern der fünf Sänger zu Gehör. Ob „Mein kleiner grüner Kaktus“, „Ein Freund, ein treuer Freund“, „Der Abschiedskuss“ oder andere Evergreens dieser Gruppe, alle hören sich von diesem Ensemble an wie von dem Original gesungen. Selbst die Instrumenten-Imitation, eine Spezialität der historischen Gruppe, beherrschen ihre späten Epigonen perfekt, und den sHöhepunkt dieser Imitation bildet das berühmte Streichquintett von Boccherini (u. a. Titelmusik in „Ladykillers“), das hier fünf „lebende“ Instrumenten vortragen, die gleichzeitig auch noch ihre eigenen Spieler sind. Diese Nummer erntete besonders begeisterten Beifall des Premierenpublikums.
Am Ende der Geschichte treten alle Protagonisten noch einmal kurz auf fassen das weitere Leben – und Sterben – ihrer jeweiligen Rolle zusammen, aber nicht als zum Stück externe Darsteller, sondern als Teil der Inszenierung. Dabei kommen unschöne, weil unsolidarische Verhaltensweisen einzelner Gruppenmitglieder durchaus zur Sprache. Doch weder Verbrämung noch moralischer Zeigefinger prägen diese abschließende Rückschau, sondern die Tatsachen sprechen für sich. Das gilt auch für die bei jeder Inszenierung eines Unterhaltungsthemas schwierige Darstellung des Nationalsozialismus. Es besteht immer die Gefahr, entweder diesen im Unterhaltungsrausch als unangenehme Nebenerscheinung zu bagatellisieren oder den unterhaltenden Charakter des jeweiligen Themas durch die moralische Keule zu zerstören. Regisseur Peter Hailer schaffte es hier jedoch, in den wichtigen Kernszenen den nötigen Ernst zu wahren und die Drohung des Nationalsozialismus glaubwürdig zu gestalten – andeutete Nazi-Architektur und stilisierter Volksempfänger halfen dabei – und sogar den Vertreter der braunen Macht einer gewissen Lächerlichkeit auszusetzen. Dass dieses Lächerliche nicht zu heiterem Lachen führen darf, versteht sich von selbst, aber das Lächerliche des Hohlen soll dennoch durchdringen. Diese Gratwanderung gelang Regie und Ensemble dank gut ausbalancierter Spielweise recht überzeugend.
Wer gedacht hatte, dass nach abschließendem Rückblick und Schlussapplaus schon Schluss sei, hatte nicht mit der Sangeslust der Darsteller gerechnet. Gerne ließen sie sich vom Publikum überreden, immer noch ein weiteres bekanntes Stück der „Comedian Harmonists“ nachzulegen und dabei jedes Mal wieder neue Überraschungen einzuflechten. Der Chronist unterließ es, die Zugaben zu zählen, aber es dürften an die zehn gewesen sein.
Frank Raudszus
Alle Fotos © Barbara Aumüller
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