Das Frankfurter Städel-Museum zeigt in der Ausstellung „Maniera. Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici“ Werke des italienischen „Manierismus“ aus der Spätrenaissance.
Die Renaissance als Wiederentdeckung der klassischen Antike mit ihrem Ebenmaß und ihrem realistischen Welt- und Menschenbild erstreckte sich nach allgemeinem Verständnis vom 15. bis zum 16. Jahrhunderte und wurde erst im frühen 17. Jahrhundert vom Barock abgelöst. In der darstellenden Kunst standen die norditalienischen Maler im Mittelpunkt, und Namen wie Leonardo, Michelangelo und Raffael haben diese Epoche geprägt. Doch die Experten haben die Renaissance längst selbst wieder in verschiedene Epochen unterteilt, und deren letzte stellt der sogenanante „Manierismus“ dar, auf italienisch „Maniera“. Diesen Begriff prägte der Kunstgeschichtsschreiber Giorgio Vasari, der nicht nur durch seine Künstlerbiographien berühmt wurde sondern auch selbst als Maler zum Stil der Zeit beitrug.
Zwar überschneiden sich die Lebensdaten der „eigentlichen“ Renaissance-Künstler und der Manieristen zum Teil deutlich – so starb Michelangelo erst 1564, fast am Ende der Maniera -, dennoch bilden die Protagonisten dieser Ausstellung eine eigene stilistische Gruppe, die sich deutlich von der künstlerischen Ausrichtung ihrer Vorgänger absetzt. Betrachtet man die Werke der drei „Großen“ – Leonardo, Michelangelo und Raffael – sowie ihrer weniger bekannten Zeitgenossen, so fällt auf, dass die Figuren weitgehend idealisierte Züge aufweisen. Anbetung, Ehrfurcht, Angst, Leid und Schrecken sind stets archetypisch angelegt und drücken nie eine je eigene Individualität aus. Das trifft auch weitgehend auf die körperlichen Proportionen zu, die – außer bei bewussten (Zeichen-)Studien über die Hässlichkeit – stets von dem antiken Ideal des Körpers ausgehen: muskulöse, durchtrainierte Männerkörper, runde und schwellende Frauenkörper. Sowohl Körper als auch Geist – letzterere in Gestalt des Gesichtsausdrucks – orientieren sich am Ideal des Eben- und Gleichmaßes. Als Vorbild für diese Sicht des künstlerischen Ausdrucks könnte die Lakoon-Gruppe aus der späten Römerzeit gelten, in der selbst im größten Schmerz noch die ästhetische und damit geistig-seelische Form gewahrt wird.
Ganz anders die Manieristen um Pontormo und Bronzino. Auch sie gestalten ihre Bilder zwar vordergründig nach den klassischen Regeln, bringen darüber hinaus jedoch eine ganz eigene Individualität des Dargestellten ins Spiel. Plötzlich steht nicht ein archetypischer Vertreter des Adels oder der Kaufmannschaft im Zentrum des Portraits, sondern ein ganz eigener, unverwechselbarer Mensch. Das Ebenmaß der Züge weicht der Realität nicht-idealer Proportionen; bei dem einen stehen die Augen weit auseinander, bei dem anderen quellen die Augäpfel sichtbar hervor. Doch der entscheidende Unterschied liegt in der Mimik, die mit raffinierten Kleinigkeiten schlaglichtartig einen Blick in den Charakter der jeweiligen Person eröffnet. Die „Dame in Rot“ von Agnolo Bronzino schaut den Betrachter mit einem feinen, sublim spöttischen Lächeln an, und die „Dame in Grün“ des selben Malers schafft mit einem herablassend insistierenden Blick, verstärkt durch leichte Schräghaltung des Kopfes, soziale Distanz (zum Künstler?). Pontormos „Cosimo di Medici“ aus dem Jahr 1536 reckt nicht als selbstsicherer Herrschaftsspross das Kinn, sondern präsentiert sich als melancholischer Jüngling mit existenziellen Fragezeichen in seinen Gesichtszügen. Und sein „Hieronymus Büßer“ wirkt durch die Direktheit seines blanken Schädels und des ausgemergelten Gesicht fast wie ein KZ-Insasse. Auch Pontormos „Martyrium der Zehntausend“ zeichnet sich durch eine wesentlich individuellere und unmittelbarere Mimik aus, als man sie von der „klassischen“ Renaissance her kennt. Wird das elementare Leiden der Unterdrückten und Bestraften dort überindividuell als „Meta-Empfindung“ dargestellt und erscheinen die strafenden Figuren (meist Engel) mit ernsten, verantwortungsgesättigten Mienen, so zeigt Pontormos den einzelnen leidenden Mensch mit ganz eigenen Empfindungen – Angst, Feigheit, Resignation -und die Täter als gehässige oder geradezu sadistische Individuen, die ihre Macht genießen. Salviatis „Bildnis eines jungen Mannes“ wiederum zeigt die narzisstische Eitelkeit und Herablassung der damaligen „jeunesse d´orée“.
Wo man auch hinschaut, hat man das Gefühl, dass die Künstler der „Maniera“ die Überhöhung des Menschen im antiken Ebenmaß satt hatten und endlich einmal ihre Mitmenschen so darstellen wollten, wie sie sie im Alltag sahen. Dabei waren sie natürlich einerseits durch die Wünsche und Eitelkeiten der Auftraggeber, andererseits durch das Kunstverständnis und die Rezeptionsgewohnheiten der Öffentlichkeit eingeengt. Sie mussten also die nicht immer schmeichelhafte Realität in subtile Details verlegen, die nicht von vornherein als das zu erkennen waren, was sie ausdrücken sollten. Darin entwickelten sie allerdings eine Meisterschaft, die ihresgleichen sucht. Man wird eine ähnliche Demaskierung der Wirklichkeit erst wieder im Expressionismus des 20. Jahrhunderts wiederfinden, dann aber in wesentlich schärferer Form.
Auch die Architektur der Renaissance kommt in dieser Ausstellung zu Wort. So hat das Städel das berühmte Treppenhaus der „Biblioteca Laurenziana“ unmittelbar vor dem Palazzo Medici im Maßstab 1:3 nachgebaut und empfängt mit dieser für die manieristischen Epoche typischen Fassade den Besucher im zweiten Teil der Ausstellung. Und dieser Teil endet dann ebenfalls mit einem ungewöhnlichen Exponat: dem vergrößerten (und ins Deutsche übersetzten) Tagebuch von Jacopo Pontormo, in dem der Künstler seinen oft so banalen Alltag spiegelt und damit einen faszinierenden Einblick in die Welt des (künstlerischen) Individuums des 16. Jahrhunderts eröffnet.
Die Ausstellung umfasst 120 Werke, darunter auch Graphiken und Skulpturen, die zum Teil zum ersten Mal ihren Stammplatz, etwa die „Florentiner „Uffizien“, verlassen haben. Das Städel hat es – nicht zuletzt dank seinem hervorragenden internationalen Ruf – geschafft, die seltensten Werke aus dieser Epoche in Frankfurt zusammenzuführen. Wer einen neuen Blick auf die italienische Renaissance werfen möchte, sollte sich diese Ausstellung nicht entgehen lassen. Sie ist vom 24. Februar bis zum 5. Juni 2016 dienstags, mittwochs und am Wochenende von 10 bis 18 Uhr, donnerstags und freitags von 10 bis 21 Uhr geöffnet. Weitere Informationen erhalten Sie auf der Webseite des Städelmuseums.
Frank Raudszus
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